Als Kind war ich von Lübeck fasziniert. Endlich habe ich mir mit einer Städtereise in den Norden Deutschlands den Traum erfüllt. Die Königin der Hanse ist definitiv eine Reise wert!
In meiner Kindheit träumte ich oft von Lübeck. Und das hatte vor allem mit meiner Vorliebe für Marzipan zu tun. Später kamen Thomas Manns Buddenbrooks dazu und Theodor Storm, der mir mit dem Schimmelreiter eine diffuse Sehnsucht nach der Nordsee einimpfte.
Das Diffuse erklärt wohl, dass ich nicht wusste, dass Lübeck über seine Verlängerung Travemünde eigentlich an der Ostsee liegt. Trotz Sehnsuchtsort: Nach Lübeck reiste ich dann doch nie. Bis mich vor kurzem der Zufall dorthin führte.
Und ich war begeistert.
Das Holstentor
Mein Eintritt in die einst so stolze Handelsstadt, die lange weit bedeutender war als Hamburg, führt durch das Holstentor. Das gotische Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert mit seinen Kegeltürmen erinnert an die Märchenschlösser in Disney-Animationsfilmen und ist das Wahrzeichen der Hansestadt.
Wer wie ich unter dem Begriff History-Buff läuft – das ist die coolere Bezeichnung für Geschichtsbegeisterte – besucht selbstverständlich das dort untergebrachte Stadtgeschichtliche Museum und erfährt so Einiges über die einstige Glorie der Königin der Hanse.
Mehr Interessantes zur Stadt und ihrer Geschichte gibt’s zudem im Europäischen Hansemuseum zu entdecken.
Lübecks Salzspeicher an der Obertrave
Direkt neben dem schlossähnlichen Tor liegen die alten Salzspeicher und kleine Gassen an der Obertrave. Sie sind eine tolle Sehenswürdigkeit und stammen aus der Zeit des Backsteinbarock.
In den Speicherhäusern wurde anfangs Salz eingelagert, später Tuch, Korn und Holz und in den 1920er Jahren dienten sie sogar als Drehort für «Nosferatu – eine Symphonie des Grauens». Passt irgendwie: so schön die alten Salzspeicher sind, sie haben auch etwas Furchteinflössendes.
Ein Stück Marzipantorte im legendären Café Niederegger
Kaum auf der Altstadtinsel angekommen – der alte Stadtkern wird vom Fluss Trave umrahmt – ist meine erste Destination Niederegger, der bekannteste Lübecker Marzipanproduzent.
Niederegger ist nicht nur eine reine Produktionsstätte, sondern betreibt in der Fussgängerzone gleich hinter dem Lübecker Rathaus im Stammhaus von 1822 auch ein hübsches Café mit Old-World-Charme.
Ich bestelle ein Stück der legendären Marzipantorte und bekomme das wohl üppigste Stück Kuchen meines Lebens serviert.
Oberhalb des Cafés befindet sich das hauseigene Marzipan Museum. Und die Geschichte der von mir so verehrten süssen Mandelpaste entpuppt sich doch etwas anders als erwartet.
Am Anfang stand nämlich kein findiger Konditor, sondern die Apotheker-Gilde. Diese stellte die Mandelpaste, die ursprünglich aus Persien stammt, Anfang des 18. Jahrhunderts als Heilmittel gegen Verdauungsprobleme her. Und wenn das nichts nützte, dann half sie doch als Seelentröster.
Das muss jedenfalls Stammvater und Konditor Johann Georg Niederegger im Sinn gehabt haben, als er mit der Marzipanherstellung als süsse Leckerei anfing.
Die Lübecker Gänge – eine mittelalterliche Puppenstubenwelt
Während ich weiter durch die Altstadt bummle, entdecke ich eine wundersame Puppenstubenwelt, von der ich keine Ahnung hatte: Niedrige, schmale Gänge, versteckte, idyllische Höfe, romantisch begrünte Häuserzeilen in Miniformat.
Die Geschichte dahinter: Im Mittelalter wuchs mit erfolgreichem Handel die stolze «Königin der Hanse» rasch und die Altstadtinsel wurde enger und enger. So schafften die Lübecker Durchgänge durch die Vorderhäuser und bebauten die Hinterhöfe mit den sogenannten Buden.
Heute leben in den handtuchgrossen Häuschen Lübecker, die diese zauberhafte Welt mit viel Liebe hegen und pflegen – einige werden auch über Airbnb an Touristen vermietet.
Der Rosengang ist der bekannteste der Gänge.
Die Kultouren – eine Stadtführung der etwas anderen Art
Eigentlich mag ich keine Stadttouren, wo ich inmitten einer Touristengruppe wie ein bockiges Schaf durch einen Ort geschleust werde. Doch bei den Kultouren von Christoph Rode mache ich eine Ausnahme.
Gerne folge ich dem gebürtigen Lübecker, der seine Schäfchen in kleinen Gruppen auf Schleichwegen durch die Altstadt zu liebevoll ausgesuchten, besonderen Lokalen führt. Dort wartet auch jeweils eine kleine kulinarische Überraschung auf die Besucher.
So schlendere ich mit durch die Gassen, Gräben und Höfe, die ich sonst wohl nie entdeckt hätte. Und Rode öffnet Türen zu Ateliers, Werkstätten und kreativen Läden, die sonst verschlossen bleiben. Hier trifft Geschichte und Gegenwart aufeinander.
Chinesischer Tee an der Engelsgrube
Moritz Holst hat das über 700-jährige Schifferhaus an der Engelsgrube mit seiner Familie über lange Jahre mit viel Liebe zum Detail restauriert – fertig ist es immer zwar immer noch nicht ganz und wird es wohl auch nie.
Doch das ist ganz im Sinne von Moritz Holst, der das Haus als eine Art Lebensaufgabe sieht. Nun hat er hier sein wunderbares Teegeschäft eingerichtet – der Sinologe handelt mit chinesischen Teeraritäten.
Eine Schokoladenmanufaktur der besonderen Art
Ganz toll ist der Besuch bei Evers & Tochter in einem traditionellen Lübecker Kaufmannshaus, in dem die Familie Evers seit über 300 Jahren ansässig ist.
Dort produzieren Angela Evers und ihre Tochter Dana Li neben entzückenden Zuckerblüten auch handgemachte Schokoladen von Schokoladentafeln über Schokoladenriegel bis zu Schokoladenherzen.
Meine Gruppe bekommt ein Fischmenü serviert. Ein Fischmenü? Das ist die reizende Idee von Angela Evers, uns ihre Schokolade in Fischform an einem weiss gedeckten Tisch in Ihrem Salon zu servieren.
Das Buddenbrook Haus
Wer sich wundert, ob jetzt schon wieder etwas Kulinarisches kommt, den kann ich beruhigen. Ich bin durchaus kulturell interessiert. So führt mich der nächste Weg ins Buddenbrookhaus mit der typischen Barockfassade an der weltberühmten Mengstrasse Nr. 4.
Im Buddenbrookhaus eröffnet sich die Welt der alten Lübecker Kaufmannsfamilien. Thomas Mann nahm diese als Vorbild für seinen Jahrhundertroman „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ und wurde dafür mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Für Fans der Buddenbrooks gibt’s viel Spannendes zu entdecken. Und man erfährt Einiges über das Leben einer typischen Kaufmannsfamilie wie die Familie Mann sie war. Zum Beispiel wurde in den Kaufmannshäusern das geschäftliche Kontor und die privaten Räumlichkeiten unter einem Dach vereint.
Hier verbindet sich die bewegte Geschichte der Familie Mann mit dem fiktiven Stoff des Romans. 2020 wird das Museum erweitert und die Ausstellungen ziehen in dieser Zeit ins Museum Behnhaus Drägerhaus.
Wer sich sonst noch für Lokalheroes interessiert: Der einstige Bundeskanzler Willy Brandt und der Schriftsteller Günter Grass (Die Blechtrommel) gehören dazu.
Nachbarin der Buddenbrooks – die Marienkirche
Auf der anderen Seite der Mengstrasse steht ein wunderbares Backsteinjuwel, die Marienkirche. Sie war die Taufkirche Thomas Manns.
Als sie im zweiten Weltkrieg während eines Luftangriffs stark beschädigt wurde, stellte dieser nach 1945 einen Teil seiner Honorare für den Wiederaufbau der Kirche zur Verfügung.
Die Kirche ist Teil des UNESCOS-Welterbes Lübecker Altstadt und war in ihrer Blütezeit ein wichtiges Symbol für Macht und Wohlstand der alten Hansestadt.
Sie befindet sich übrigens auf dem höchsten Punkt der Altstadtinsel. Es lohnt sich, einen Blick hineinzuwerfen. Jedenfalls fand ich den Anblick atemberaubend.
Die Schiffergesellschaft – eine Lübecker Institution
So langsam wird es Zeit, den knurrenden Magen zu beruhigen. Dafür habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgesucht. Die Schiffergesellschaft an der Breitestrasse. Sie war früher Versammlungsort der Seefahrer und Kapitäne.
Heute ist es das Traditionsrestaurant und beeindruckt mit einem Interieur, das einem mittelalterlichen Schiff nachempfunden ist. Eine perfekte Filmkulisse für einen Piratenfilm.
Die gesamte Geschichte der Stadt in Schleswig-Holstein ist mit der Seefahrt eng verknüpft. Lübeck war eine bedeutende Wirtschaftsmacht und erreichte insbesondere durch den Handel über den Seeweg Wohlstand.
Währschafte Kost im Restaurant der Schiffergesellschaft
Gut habe ich nach der ausführlichen Stadttour durch die Altstadtinsel so richtig Kohldampf. Was in der Schiffergesellschaft auf die Teller kommt, ist nämlich deftig. Und wirklich gut, wie ich gleich feststelle.
Vor mir steht ein üppig gefüllter Teller mit einer grossen, in Speck gebratener Ostseescholle – Fisch ist hier natürlich Pflicht – und aufgetürmten Kartoffeln. Den leere ich ratzeputz leer. Kann ich wirklich empfehlen.