Als ich am Flughafen Istanbul-Atatürk lande, ist es bereits 22 Uhr. Folglich nehme ich ein Taxi in die pechschwarze Nacht. Ich sollte es nicht bereuen…
Zu so später Stunde will ich mich nicht mehr in einer mir unbekannten Stadt mit der U-Bahn abmühen und suche ein Taksi. Keck frage ich den Drogenspürhund, ob man denn hier alle Taxis nehmen könne oder ob es da auch so halbdurchsichtige gibt, die man lieber meidet?
Sein ‹I don’t know› bringt mich nicht weiter, aber da alle auf die orange-gelben Kisten warten und es keine andere Farbe zu geben scheint, schnappe ich mir auch so ein Gefährt.
Der Fahrer, ein älterer Herr, spricht kein Englisch, dafür aber etwa 3 Wörter Deutsch. «Ein bisschen» sind zwei davon. Naja, mit ein bisschen auf dem Smartphone und Google Maps rumfuchteln und einer Telefonnummer bringt er uns auf den Weg.
Und wie!
Istanbul scheint eine Stadt zu sein, wo zwar Verkehrsschilder und allenfalls Verkehrsregeln existieren, diese für Taxis aber offensichtlich nicht gelten.
Der ältere Herr kennt nur eine Tube, nämlich die gedrückte. Locker lässt er alles stehen, was Rang und PS hat.
Auf dem Weg in die Stadt muss er sich ein einziges Mal von einem jüngeren Berufskollegen überholen lassen. Und von sonst noch einem Spinner.
Meist links – aber wenn nötig auch mal rechts – zischt er mit unserem eckig-orangen Flitzer dem Bosporus entlang durch die Istanbuler Nacht, als gäbe es kein Morgen!
Mein nigelnagelneues Tablet mit NVIDIA Tegra 3-Quad-Core Jelly Bean 4.2 und sein Google Maps haben ihre liebe Mühe, dem Standort des älteren Herrn zu folgen.
Den Tacho habe ich zum Glück nicht im Blickfeld. Mir reicht es, die wie in der Formel 1 sich vor uns kreuzenden Autos optisch auseinanderzudividieren.
Der ältere Herr lässt sich davon ÜBERHAUPT nicht beeindrucken und als seine Nase auch noch Putzbedarf anmeldet, wuselt er sich halt einhändig durch die Blechlawine.
Dass er das kann, hatte er vorher schon beim telefonieren auf der Autobahn demonstriert…
Geschüttelt und gerührt war ich dann erstaunlich schnell im Hotel.
Taxi #2: Jünger und (noch) schneller?
Taksi-Fahrer Nummer 2 vom nächsten Abend ist jünger als der ältere Herr und entsprechend gebannt bin ich auf meinen nächsten Höllenritt.
Englisch kann er glaubs noch weniger als sein Kollege vom Vorabend. Dafür kann ich inzwischen mein Quartier «Ortaköy» von mir geben. Allerdings wohl nicht ganz akzentfrei, so dass er unsere türkische Konversation darauf beruhen lässt.
Anyway. Fahren wir endlich los!
Im engen Altstadtquartier lässt er beim Anfahren demonstrativ schon mal einen Schwarzen liegen, um den Tarif bekanntzugeben. Es dauert allerdings nur wenige Kurven bis in den dichten Abendverkehr, so dass die Dynamik dieser Taxifahrt schnell zum erliegen kommt.
Dafür kennt der Fahrer ALLE Ampeltricks, die der liebe Herrgott nicht verboten hat: Droht eine Ampel auf Rot zu wechseln, geht es mal – zack – links um die Insel, mal täuscht er rechts ein Abbiegemanöver an, nur um weiter vorne wieder einzubiegen und so zu tun, als wäre er von rechts reingefahren.
Soweit der Verkehr es auch nur einigermassen zulässt, bevorzugt er die volle Fahrt mitten auf der ausgezogenen weissen Linie. Im letzten Moment entscheidet er, ob es links – nein, diesmal zack rechtsherum – gehen soll.
Und wieder richtig entschieden!
Ich glaube der Trick rechtsherum brachte mindestens gefühlte 30 Hundertstelsekunden Zeiteinsparung.
Weiss ich sehr zu schätzen.
Nur eben, irgendwo kam der Schwung abhanden und irgendwann total zum erliegen. Also steckt er sich ersatzweise eine Zigarette an.
WIE BITTE?!
Korrekt. Eine Zigarette. Die Marke konnte ich leider nicht erkennen.
Aber ehrlicherweise muss ich zugeben, dass er sehr rücksichtsvoll vorgeht: Der Glimmstengel hängt immer zum Fenster hinaus und auch zum ausatmen hangelt er sich weit zum Fenster hinaus.
Der Fahrersitz ist zu diesem Zeitpunkt jeweils praktisch unbesetzt.
Auch das kein Problem also…
Und so bringt er mich im zweispurigen Verkehrs-Staccato doch noch sicher in meine Loge.
Und überrascht mich mit einem «Good bye»!
Immerhin…
#3 jetzt mal morgens: Diesmal mit Adresszettelchen!
Ich denke ich habe es schon erwähnt, Englisch ist nicht die grösste Stärke der Istanbuler Taxi-Fahrer, ihr Fokus liegt eindeutig auf dem Gaspedal.
Umsichtig wie sie in meinem Hotel sind, geben sie mir ein Zettelchen mit Adresse meiner nächsten Destination mit auf den Weg.
Weil tatsächlich, Taksi-Fahrer Nummer 3 kann glaube ich nicht mal mehr das englische Startwort «hallo»…
Auch er muss sich dem übermächtigen Verkehr beugen, lässt zwischendurch aber trotzdem seine fahrerische Klasse aufblitzen: Beispielsweise als einmal der grosse, rostige Otobüsü neben uns mir nichts dir nichts auf unsere Spur rüberschert.
Mit dem kleinen Ausweichmanöver – aber ohne Hupe – und einem stoischen Schliessen der Augen (!) wird auch diese Situation bewältigt.
Den grossen Herzlupfer habe ich allerdings dann doch noch, als er unvermittelt das Fenster leicht öffnet und auf einmal der volle Strassenlärm ins Taksi dringt…
Meine Güte!
Und nochmal leicht verduzt schaue ich aus dem Fond des Wagens, als er mit Handbremse überfallmässig anhält und in ein McDonald’s stürmt…
Das McDo ist zum Glück noch geschlossen, so dass die Fahrt schnell weitergehen kann. Als er danach jeden Motorradfahrer aus dem Fenster hinaus etwas fragt und einigermassen wirr durch die Gegend fährt, schliesse ich, dass er nach der Adresse fragt.
Die hatte er ja zwar auf dem Zettelchen. Aber halt kein Navi…
Schlussendlich gibt er in einer Einbahnstrasse auf (wir sind die einzigen, die in die entgegengesetzte Richtung zu fahren versuchen) und bedeutet mir, die letzten 200 Meter zu Fuss zu gehen.
Kein Problem.
Zum nächsten Termin nehme ich die Strassenbahn. Erlebe dafür aber kaum etwas…
Mit #4 zurück zum Flughafen – au weia…
Vierte von vier Taxifahrten: Ende der Trilogie.
Da ich die Strassenbahn schon kenne und die Lire in der Hosentasche noch genau für eine letzte Taxifahrt reichen, gönne ich mir nochmal die Mutter aller Höllenritte.
Diesmal kommt der verwegene Ferodun zum Zug. Inzwischen weiss ich ja etwa, was mich erwartet, also will ich vorher wenigstens ihren Namen wissen.
Wie wir schon ahnen, tut dem Bleifuss sein leicht erhöhtes Alter überhaupt keinen Abbruch.
Die Strasse zum Flughafen ist also definitiv ihre Rennstrecke: Hier ist der Verkehr zwar auch dicht, aber flüssig bis schnell und mit genügend Abstand zwischen den Autos – also einem halben Meter, nicht wie in der Formel 1 mehrere Sekunden.
Das erlaubt es den Jungs, die Spur zweimal zu wechseln, während Normalsterbliche einmal blinzeln.
Oder nochmal ganz langsam: Der Gleichgewichtssinn sagt einem beim Blinzeln, dass sich das Taxi seitwärts bewegt haben muss. Beim Öffnen der Augen sieht man sich irritierenderweise aber immer noch auf der gleichen Spur…
Dass Gyroskop von Tablet und Smartphone solche Manöver überhaupt unbeschadet überstehen, ist eigentlich ein kleines Wunder der Technik. Und dass unsere Sinne auch das verkraften, ist grad auch erstaunlich, weil meines Wissens mussten Höhlenbewohner keine derartigen Beschleunigungen aushalten.
Aber item, die Beschleunigung in diesen gelben fliegenden Kisten ist also noch beachtlich. Würde man ihnen gar nicht geben, wenn man sie träge im Stau rumstehen sieht.
Dass die Strasse übersät ist mit Hinweisschildern auf das Elektronik Delentle System scheint hier keinen Menschen zu interessieren: weder die Zivilisten noch die Taxifahrer, weder Otobüsü, noch fliegende Kisten.
Und angeschnallt ist auch nie einer dieser Teufelskerle. Das wäre wahrscheinlich ein Zeichen von Angst, und die darf man auf keinen Fall zeigen, weil in Istanbul gilt klar das Gesetz des Stärkeren: Zuerst die Autos, dann die Fussgänger. Fahrräder habe ich keine erspäht.
Aber auch hier, man fühlt sich bei Ferodun wie bei seinen Kollegen trotz aberwitzigen Beschleunigungswerten jederzeit sicher und hat sogar noch die Musse, Notizen über die letzte Kurve ins Tablet zu kritzeln.
Danke Jungs für die Action, görüshürüz!
Und zum Schluss für all jene, die neben ihrer Flugangst jetzt auch noch Taxiangst bekommen haben: Allenfalls sind meine Schilderungen leicht übertrieben… Ich werde jederzeit guten Mutes wieder zusteigen :-)
Aber es gibt auch andere Stimmen…
For the love of God… If you ever get lost or need urgently to get somewhere in #Istanbul, NEVER ever take a taxi. You'll LOSE YOUR MIND.
— Arie Amaya-Akkermans (@Dilmunite) April 23, 2013
4.10am, on a taxi in Istanbul, going to the airport… every time I ask myself if I will survive to this… :-)
— Luca Filigheddu 🇮🇹 💻🥋🍻 (@filos) April 17, 2013
https://twitter.com/cappa23/status/317973893350572032
New courses to teach English to taxi drivers in #Istanbul http://t.co/V85WGCxt
— Hürriyet Daily News (@HDNER) January 16, 2013