Motive, Funktionen und ethische Grundsätze von Reisebloggern. Aus der Bachelorarbeit von Alexander Schürch vom Mai 2015 an der Universität St. Gallen bei Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann.
Blogs kommen im Rahmen des Social Media Marketing immer höhere Bedeutung zu. Unternehmen sehen sich zunehmend gezwungen, Kooperationen mit Bloggern einzugehen, um ihre Zielgruppen effizient und effektiv zu bearbeiten und höhere Bekanntheit zu generieren. Diese Arbeit untersucht daher die Rolle von Blogs im Social Media Marketing des Tourismus.
Funktionen von Reiseblogs
[Alexander Schürch] Sind Sie bereits Kooperationen mit Unternehmen eingegangen?
[Walter Schärer] Ja, wir schreiben regelmässig für Leistungsträger, PR-Agenturen oder Destinationen.
Beschreiben Sie einmal, wie sieht eine Kooperation aus? Was passiert dabei genau?
Entweder werden wir angeschrieben (praktisch täglich) oder wir interessieren uns für eine bestimmte Destination und fragen selber an. Dann verhandeln wir die Gegenleistung für einen Review auf unseren Blogs reisememo.ch (Deutsch) und travelmemo.com (Englisch) und begleitende Promotionen auf diversen Social Networks, gesamthafte monatliche Reichweite ca. 30‘000 Leser, exklusiv Google+. Von dort kommen weitere mehrere 100‘000 Impressionen dazu.
Welche Arten von Kooperationen existieren?
Wir bieten praktisch nur Reviews. Das können Hotels, Airlines, Destinationen, Zugverbindungen oder Produkte wie Kameras oder Dienstleistungen wie Reisewebseiten sein. In wenigen Fällen konnten wir auch schon unsere Fotos verkaufen. Mit Gstaad Saanenland Tourismus haben wir Beratung von Hoteliers geboten.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Kooperationen mit Unternehmen?
Der Wissensstand der Leistungsträger ist sehr unterschiedlich und variiert je nach Destination zusätzlich: In Südamerika ist man beispielsweise noch nicht auf Blogger-Kooperationen eingestellt. In Europa sind Kooperationen üblich, d.h. wir werden für 1-4 Nächte eingeladen und schreiben im Gegenzug Blogartikel, die wir via Social Networks promoten. Unsere Artikel sind für gute Auffindbarkeit in Suchmaschinen optimiert (SEO) und enthalten Links zu den Leistungsträgern. Dies wiederum hilft deren eigenen Webauftritten, was unter dem Begriff «Inbound Marketing» bekannt ist.
Einige PR-Agenturen bestehen immer noch auf Print. Deshalb suchen wir auch Kooperationen mit Print-Magazinen. Ihnen bieten wir den Abdruck unserer Texte und Fotos kostenlos an, womit wir den Beruf des Reisejournalisten „disruptieren“: Uns reicht die Nennung unseres Blogs im Print-Magazin, da wir die Inhalte so oder so für uns selber erstellen und uns durch Print die Akquise von Pressereisen erleichtern.
Wie wichtig sind Blogs im Rahmen des Marketings?
Verlage haben zunehmend Mühe, ihre Publikationen zu refinanzieren, da die Werbegelder von Print in performancebasierte Kanäle fliessen wie Google AdWords oder Facebook: Dort ist ein präzises Targeting möglich mit ROI-Beleg. Zudem sind dort die User.
D.h. (Reise-)Journalisten werden laufend abgebaut, da nicht mehr bezahlbar. Damit stehen PR-Agenturen und Leistungsträgern immer weniger Publikationen zur Verfügung, in denen sie ihre Destinationen präsentieren können: Die SonntagsZeitung hat 2014 beispielsweise den Reisebund abgeschafft und auf zwei Seiten „Reisen“ im Kulturbund reduziert.
Dank Reiseblogs steht jetzt ein neuer, moderner Kanal zur Verfügung, wenn auch mit tieferer Reichweite, da die Konkurrenz der Inhalte im Internet immens ist.
Welchen Stellenwert haben Blogs im Social Media Marketing von Unternehmen?
Blogs sind für Social Media Aktivitäten von Unternehmen zentral, da sie die einzige Plattform sind, die Unternehmen selber kontrollieren (Owned Media). Social Networks wie Google+, Facebook, Twitter, Pinterest, etc. vereinen zwar viele Leser auf sich, gehören einem aber nicht. Früher bezeichnete man diese Kanäle als Earned Media, weil man sich Likes durch gute Inhalte verdiente. Heute muss man Facebook zu den Paid Media zählen, da man seine eigenen Fans nicht mehr erreicht, wenn man nicht dafür bezahlt (Pay to Play).
Was sind die Vor- und Nachteile von Blogs?
Blogs haben den Vorteil, dass sie einfach aufzusetzen und zu bespielen sind. Die Search Engine Optimierung ist bei Open Source CMS wie WordPress kostenlos inbegriffen zusammen mit tausenden von Erweiterungszwecken und Designvarianten.
Ein Nachteil ist die nicht immer gegebene Security. Vertrauliche Informationen sollte man nicht in Blogs verwalten. Daneben wird der Aufwand für die inhaltliche Pflege eines Blogs unterschätzt.
Social Media Marketing umfasst auch das Eingehen auf Kommentare und Bewertungen von Konsu-‐ menten. Antworten Sie auf Kommentare zu den einzelnen Blogeinträgen, relativieren Sie allenfalls?
Ja, wir beantworten alle Kommentare und relativieren sie, falls uns das nötig scheint. Gemäss der Social Media Faustregel 90:9:1 haben wir aber relativ wenig Kommentare: Von 90% der Leser geben 9% einen Like/Fav/+1 und nur 1% wird aktiv und kommentiert. Das ist ja auch viel aufwendiger und wer der Rechtschreibung nicht mächtig ist, hält sich meist zurück.
Stimmt aus Ihrer Sicht das Kosten-Nutzen-Verhältnis für ein Unternehmen?
Die ROI-Betrachtung ist relativ komplex und variiert je nach Branche stark. Diesbezüglich ist eine generische Antwort schwierig. Der Aufwand ist allerdings gigantisch und kann einer nüchternen Kosten-/Nutzenbetrachtung oft nicht standhalten, weil der Nutzen schwierig zu messen ist.
Motive für Reiseblogger
Seit wann gibt es den Blog und warum wurde er gegründet?
Ich habe 2010 hobbymässig mit Bloggen angefangen, weil ich an meinem Arbeitsort als Web-‐ Verantwortlicher den Auftrag erhielt, die Social Media Strategie zu formulieren. Ich recherchierte, dass sich bei Social Media viel um Blogs dreht und wollte aus erster Hand verstehen, wie Bloggen funktioniert, um daraus eine Strategie abzuleiten.
Welche Zielgruppe(n) möchten Sie mit Ihrem Blog erreichen?
Unsere Reiseblogs wenden sich an anspruchsvolle Paare, die das Leben zu geniessen wissen. Wir fokussieren auf kleine Design- und Boutique Hotels und Golfreisen.
Warum wurden Sie zum Blogger, warum bloggen Sie was Sie bloggen? Was war die Motivation?
Aus der Social Media Recherche wurde klar, dass ein Blog auf eine Nische konzentrieren sollte, um im Datenmeer jemals für bestimmte Suchbegriffe gefunden zu werden. Da ich schon länger auf Reisen fotografiere, hatte ich bereits zum Start viele Inhalte. Deshalb wurde der „Blogger-Selbstversuch“ ein Reiseblog. Um die Nische noch weiter einzugrenzen, haben wir schliesslich auf Boutique Hotels gesetzt, da sie uns persönlich am meisten zusagen.
Bloggen Sie noch immer aus denselben Gründen, oder hat sich Ihre Motivation verändert?
Die Ursprungsmotivation war Weiterbildung. Das ist weiterhin einer der wichtigsten Gründe, da ich beruflich im Web-Umfeld tätig bin. Motivierend dazugekommen ist inzwischen, dass wir kaum noch Reisespesen haben, weil wir meist eingeladen werden. Das ist ein angenehmer Nebeneffekt ;-)
Zudem erhalten wir dank dem Kontakt zum lokalen Management Zugang zu speziellen Erlebnissen, die nicht allen Besuchern geboten werden.
Welche Funktion hat der Blog für Sie und für die Nutzer/Leser?
Für uns stehen Weiterbildung und Reduktion der Reisespesen im Vordergrund.
Unsere Leser erhalten persönlich recherchierte Reviews und wir hören regelmässig von Freunden, dass sie unseren Empfehlungen „nachreisen“. Für die Leistungsträger hat der Blog den Vorteil, dass sie ausführliche Reviews in Text, Bild und oft auch Video erhalten zusammen mit Präsenz in Social Networks und dem damit verbundenen SEO-Effekt.
Warum entscheiden sich Unternehmen für Blogs als Marketinginstrument?
Z.T. weil die bisherigen Kanäle eingehen (Print), z.T. weil sie sich einen SEO-Effekt versprechen, z.T. weil Blogs sehr authentische und damit glaubwürdige PR bieten.
Was unterscheidet einen guten von einem schlechten Blog?
Ein guter Blog ist technisch auf dem neusten Stand (SEO, Pagespeed, Informationsarchitektur, Security, Backup, Backlinks, Content Delivery Network, etc.) und bietet attraktive Inhalte. Für Usability auf Desktop und Mobiles optimiertes Layout, gut proportionierte, beschnittene und farbkorrigierte Fotos, grammatikalisch korrekte Texte mit gutem Storytelling, rassig geschnittene und vertonte Videos, weiterführende Links und vertiefende Informationen.
Wie unterscheidet sich Ihr Blog von den anderen? Warum sollte ein Unternehmen eine Kooperation mit Ihnen eingehen? Beschreiben Sie die USP (unique selling position) ihres Blogs.
Wir sind auf das Luxussegment fokussiert und decken dieses glaubhaft ab, da wir auch privat in solchen Hotels übernachten. Zudem versuchen wir mit anspruchsvoller Fotografie und durchdachten Texten, Leistungsträger im bestmöglichen Licht zu präsentieren. Wir liefern meist innerhalb von weniger als zwei Wochen nach dem Besuch und übersetzen auch auf Englisch für Zu unserem englischen Reiseblog für weitere Quellmärkte. Aus meiner früheren Tätigkeit bei den Reiseveranstaltern Kuoni und Hotelplan kenne ich die Marktverhältnisse gut und kann die entsprechenden Bedürfnisse befriedigen.
Traditionelle Anbieter und Vermarkter in der Tourismusindustrie werden an Relevanz verlieren, sollten sie sich nicht den neuen Strategien anpassen. Stimmen Sie dieser These zu? Wie innovativ sind sie?
Wie der anstehende Verkauf der Touroperating-Tätigkeit von Kuoni belegt, ist die These richtig. Das Internetumfeld revolutioniert eine Branche nach der andern, die Reisebranche war eine der ersten, die die neue Transparenz und damit das Ausschalten von Mittelmännern (Reisebüro) zu spüren bekam.
Ethische Grundsätze von Reisebloggern
Beachten Sie bei der Berichterstattung ethische Grundsätze? Wenn ja, welche?
Wir schreiben nur positiv, wenn wir tatsächlich vom Produkt überzeugt waren. Das war bisher allerdings immer der Fall, da wir aus vielen Anfragen auswählen können und immer eine finden, die zu unseren Interessen passt. Wir weisen immer aus, wenn wir eingeladen wurden. Das beeinflusst unsere Berichterstattung aber selbstverständlich nicht.
Gegenüber wem fühlen Sie sich verantwortlich? Gibt es für Sie eine Art moralische Instanz?
Wir fühlen uns nur uns selber verantwortlich: Wenn wir „unethisch“ schreiben, spüren das die Leser und kommen nicht mehr. Damit verlieren wir unsere Legitimation unseren Auftraggebern gegenüber. Da unsere Leserzahlen und die PR-Anfragen aber steigen, gehen wir davon aus, dass wir ein Bedürfnis abdecken.
Von Journalisten verfasste Texte, Berichte und Geschichten sind immer auch vom Umfeld geprägt, in dem sie aufgewachsen sind, leben oder arbeiten. Sind Ihnen Personen oder Instanzen, die Ihre Ansicht oder die Berichterstattung beeinflussen, beim Verfassen von Einträgen präsent?
Nein. Wir schreiben so sachlich wie möglich von persönlichen Impressionen.
Um den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren, muss sich der Blogger anpassen und kann nicht immer ethisch korrekt handeln. Deshalb können Blogger es sich aufgrund ihrer Kooperation mit ihrem Unternehmen oftmals nicht leisten, negative Beiträge zu verfassen oder auf Kooperationen ganz zu verzichten. Wie stehen Sie zu dieser These?
Ich kenne keine Reiseblogger, die sich mit ihrer Publikation einen „vernünftigen“ Schweizer Lebensunterhalt verdienen. Reiseblogs sind eine der ineffizientesten Weisen, um Geld zu verdienen: Der Aufwand ist viel höher als die im kleinen Schweizer Markt erzielbaren Einnahmen.
Wir verfassen keine negativen Beiträge, weil wir unsere Reisen sorgfältig recherchieren und noch nie enttäuscht wurden. Da wir nicht vom Blog leben wollen, können wir uns sehr selektiv verhalten.
Wie rechtfertigen Sie negative Blogeinträge gegenüber Ihrem Auftragspartner?
Gar nicht. Wir schreiben ja unsere ehrlichen Erfahrungen und dokumentieren diese in Wort, Bild und Video. Einmal haben wir einen negativen Review über eine Kamera geschrieben, die nicht unseren Ansprüchen entsprach. Das konnten wir nicht im vornherein abschätzen, sonst hätten wir die Anfrage gar nicht angenommen. Aber dann belegten ja die Aufnahmen, dass die Kamera nicht top ist. Da gab es nichts zu rechtfertigen.
Gehen Sie mit jedem Unternehmen Kooperationen ein, bzw. haben Sie schon einmal eine Kooperation abgelehnt? Aus welchen Gründen?
Wir lehnen gefühlt 95% der Anfragen ab, meist aus Ressourcengründen: Neben unseren 100%-Jobs können wir nur an 5 Wochen im Jahr und an einigen Wochenenden verreisen. Immerhin haben wir inzwischen 5 Reiseblogger-Teams, die Anfragen übernehmen können. Aber auch das ist viel weniger, als offenbar Bedarf da wäre.
In welchen Situationen hinterfragen Sie Ihr Handeln?
Wenn wir unglaublich schöne Erlebnisse geboten kriegen und uns bewusst werden, wie privilegiert wir in der Schweiz sind, die Meisten das aber nicht mehr wahrnehmen.
„Journalisten müssen jedoch sagen und schreiben, was sie sehen, denken und erfahren; ausserdem müssen sie die Geschichten gegenüber der Öffentlichkeit überprüfen und rechtfertigen können“. Wie stehen Sie dazu? Hinterfragen Sie auch Angebote Ihrer Partner?
Blogger sind keine Journalisten, wir sehen uns jedenfalls nicht als solche. Blogs sind subjektiv geschrieben meist von Hobbyautoren ohne journalistische Ausbildung und entsprechenden Anspruch.
Die Qualität des Mediums hat einen Einfluss auf das ethische Denken eines Journalisten. Achten Sie auf die (journalistische) Qualität des Blogs? Wie beurteilen Sie die Qualität Ihres Blogs? Besitzen Sie eine journalistische Ausbildung?
Nein, wir sind keine Journalisten und beurteilen die Qualität des Blogs an Google Analytics Kennzahlen wie Anzahl Leser, Bounce-Rate, Click-Through-Rate, Page on Time, Organic Traffic, etc. Blogger sind nicht mit Journalisten vergleichbar, da wir in Personalunion auch Verleger, Vermarkter, Techniker, Programmierer, Fotografen, Bildredaktoren, Filmemacher, etc. sind. Wir hätten ja gar nicht die Zeit, in all diesen Disziplinen eine Ausbildung zu machen.
Blogger fliegen teilweise für einen von Partnern finanzierten zweitägigen Aufenthalt nach Indien und residieren in einer luxuriösen Unterkunft. Finden Sie dies ethisch korrekt und vertretbar?
Damit haben wir kein Problem. Selber wäre uns eine solche Aktion wegen der Zeitverschiebung zu anstrengend. Indien ist viel zu schön, um nur für 48 Stunden dahinzufliegen.
Wie rechtfertigen Sie den in der zuvor gestellten Frage beschriebenen Sachverhalt?
Der Flug geht mit oder ohne Blogger täglich hin und her und wenn es dem Hotel Publicity bringt, warum nicht? Die indischen Verhältnisse von arm und reich sollten wir nicht mit unseren Schweizer Massstäben beurteilen. Die sind nicht geeignet, diesen Subkontinent einzuschätzen. Wenn schon sollte man sich selber vor Ort einen Eindruck machen, dann sieht alles anders aus.
„Ökonomisch betrachtet sind Blogs eben vor allem Werbeträger, die möglichst oft gelesen werden müssen, Produkte, die im Marktwettbewerb bestehen müssen.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Die ist je nach Kontext korrekt: Vom Leistungsträger aus gesehen sind wir ein Werbeträger und je mehr Leser wir erreichen, umso attraktiver sind wir. Auch gibt es einen Wettbewerb der Inhalte um die Aufmerksamkeit der Leser. Deshalb promoten wir unsere Artikel via Social Networks und optimieren sie technisch und inhaltlich (SEO).
Abschlussfrage: Es gibt einen Reiseblogger-Kodex. Handeln Sie nach diesem? Falls nein, warum nicht?
Ja, wir halten uns daran, ausser dass wir Links nicht mit no-follow hinterlegen. Das halten wir für eine unpassende technische Spielerei von Insidern. Statistisch sind weniger als 3% aller Links im Web no-follow.
Ich gratuliere Alexander nachträglich noch zu seiner Arbeit! Sie wurde mit einer 5.5 bewertet ;-)
6 Kommentare
Ich gratuliere ganz herzlich, wir haben immer eure Tipps geschätzt und bis jetzt sind wir noch nicht von ein Hotel oder Restaurant die ihr empfohlen habt enttäuscht worden.
Gerne ;-) Ein paar weitere Tipps haben wir noch auf Lager. Demnächst mehr auf diesem Kanal…
Super Artikel, danke, Walter!
Gerne!
Aber ich habe ja nur die guten Fragen beantwortet ;-)
GREAT WALTER…
Thanks ;-)