Im Rahmen unserer neulichen «Gstaad Rundreise» kamen wir in Kontakt mit den «sehr traditionell» wirkenden Scherenschnitten der Gstaader «Scherenschneiderin» Beatrice Straubhaar.
Ich dachte Scherenschnitte seien ein bisschen von gestern. Bis mich Beatrice anfragte, ob ich ihr nicht «mal schnell» vom Schaufenster von Beyer Uhren & Juwelen in der Zürcher Bahnhofstrasse ein Handyfoto senden könne. Es hat mich fast aus den Socken gehauen! Auf offener Bahnhofstrasse!
Ich stehe bekanntlich eher auf geradlinige oder abstrakte Kunst, sagen wir mal wie jene von 16 Art Bar Restaurant Maler Herbert Buchs aus Saanen.Entsprechend habe ich den Scherenschnitten in Gstaad nur wenig Beachtung geschenkt: Die ländlichen Motive und die zum Teil gar runde Formensprache sind nicht auf Anhieb meins. Hätte sich Beatrice Straubhaar nicht speziell für unsere Bloggerreise interessiert, wäre mir vielleicht auch ihr Name nicht so in Erinnerung geblieben.
Ich habe ein paar Scherenschnitte abgeknipst, mehr der Vollständigkeit halber. Gehört in Gstaad wohl dazu, dachte ich mir. Ein bisschen Lokalkolorit muss ja schliesslich sein.
Fein. Sehr schön, das hätten wir gesehen.
Scherenschnitte von Beatrice Straubhaar
Ein paar Tage nach unserer Rückkehr nach Zürich fragte mich dann Beatrice an, ihr doch bitte ohne gross Aufwand ein Handyfoto von einem Schaufenster von Beyer Uhren & Juwelen an der Bahnhofstrasse Zürich zu senden. Die hätten da etwas mit Scherenschnitten gemacht.
Huh? Wie meinen? Die Uhren und Juwelen werden auf den kleinteiligen Papierscherenschnitten ausgestellt? Das sieht gut aus? Und funktioniert für ein Schaufenster an der noblen Zürcher Bahnhofstrasse? Ich weiss ja nicht?
Aber easy, das Schmuckgeschäft von Beyer liegt praktisch auf meinem Heimweg von der Arbeit. Die Handykamera ist ja eh immer dabei. Also los.
Und phoah!
Schon von weitem blendete es mich praktisch. Es ist nicht zu übersehen. Und sieht überhaupt mega aus! Beatrice hatte die traditionelle Formensprache uminterpretiert und zusammen mit der Agentur für dreidimensionale Kommunikation Hauser & Partner für eine modern wirkende Auslage konzipiert.
Ich bin begeistert!
Ich bin so begeistert, dass es mich gwundrig machte! Daher habe ich Beatrice einige Fragen gestellt:
Walter Schärer: Beatrice, wie kam die Zusammenarbeit mit Beyer zustande?
Beatrice Straubhaar: Die Anfrage und den Auftrag bekam ich durch die Firma Hauser & Partner, Dreidimensionale Komunikation mit Sitz in Dübendorf. Es ist bereits unsere dritte erfolgreiche Zusammenarbeit.
Walter: Wie kamst Du von den eher traditionellen Formen auf die grossformatigen Flächen?
Beatrice: Da die Anfrage und der Auftrag eher kurzfristig und schnellentschlossen entstanden ist, blieb nicht genügend Zeit extra Scherenschnitte anzufertigen. Die Motive sind alle aus bereits bestehenden Wintermotiven entstanden. Da ich selber die meisten Scherenschnitte in guter Druckqualität einscannen und digitalisieren kann, war es kein Problem passende Motive zu finden. Die Dateien wurden von Hauser & Partner weitergeleitet und verarbeitet. Vektorisiert, vergrössert und dann ausgeschnitten.
Walter: Du bist sehr gut gebucht in Deinem Atelier in Lauenen bei Gstaad. Wer sind Deine Kunden?
Beatrice: Ja Walter, du hast recht! Es läuft wirklich sehr gut und die Warteliste ist auf jeden Fall nicht abnehmend. Meine Kunden sind überall. Es sind viele Einheimische im Saanenland, die sich selber oder sonst jemandem einen Scherenschnitt schenken. Kunden sind auch viele Wohnungs- und Chaletbesitzer im Saanenland und auch Touristen, die einen Scherenschnitt als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Ich habe Kunden aus Kanada, Amerika, Australien, Norwegen, … eigentlich weltweit ;-)
Walter: Was bestellen die Kunden? Geben sie Themen vor oder arbeitest Du frei nach Deiner Intuition?
Beatrice: Die Kunden, die etwas bei mir bestellen, können selbstverständlich ihre Wünsche angeben. Manchmal sind es spezielle Themen wie Häuser nach Fotos, personalisierte Motive mit Beruf und Hobbies, Familie, Kinder, Enkelkinder u.v.m. Die beliebtesten Motive sind aber glücklicherweise nach wie vor die traditionellen Scherenschnitte mit einem schönen Saanenländer Chalet, Alphüttli, Kühen, Geissli, Gemsen, Rehe und Steinböcke, Murmeltiere etc. Diese Motive verkaufe ich auch in meinem Atelier am besten, sofern ich überhaupt etwas «an Lager» habe…
Walter: Im Landesmuseum in Zürich hat gerade eine Ausstellung über Scherenschnitte begonnen. Was ist los?
Beatrice: Ja, die Ausstellung im Landesmuseum ist wunderschön. Es ist die 8. Schweizerische Scherenschnittausstellung welche vom Verein Freunde des Scherenschnitts organisiert wurde. Nach Schwyz und Chateau Prangins wurde die Ausstellung nochmals verlängert und wird somit im dritten Museum in Folge gezeigt.
Leider hatte ich zum Zeitpunkt der Ausschreibung für diese Ausstellung vor ca. 2 Jahren Probleme mit meinen Händen und musste daher verzichten. Nach zwei Operationen bin ich jetzt aber wieder in der Lage intensiv und schmerzfrei zu schneiden.
Walter: Erleben wir gerade ein Scherenschnitt-Revival?
Beatrice: Ich empfinde es nicht wirklich als Revival! Vor genau 30 Jahren ist mein erster Scherenschnitt entstanden und besonders hier im Saanenland ist der Scherenschnitt allgegenwärtig. Es gibt wohl kaum ein Bauernhaus oder ein Chalet in der Region, wo nicht ein Scherenschnitt von einem der früheren oder von jetzt noch aktiven Scherenschnitt-Künstlern hängt. Hier gehört es einfach zur Tradition und ist ein sehr beliebtes Geschenk für Hochzeit, Geburtstag, Geburt, Pensionierungen oder Jubiläen. In vielen Hotels hängen Scherenschnitte. In den letzten Jahren hat diese Verwendung stark zugenommen und so gibt es heute z.B. ein Theaterbühnenbild, Hotelzimmer und Hotelbetten, ja sogar einen Teppich mit einem Scherenschnitt von mir. Ich durfte bereits in einigen TV-Sendungen mitmachen, wurde in Büchern und Zeitschriften erwähnt und ein Reiseveranstalter hat schon mal die Titelseite seines Reisemagazins mit einem Scherenschnitt publiziert. Eine grosse Ehre ist für mich auch das soeben erschienene Magazin zum Tennisturnier in Gstaad. Zum diesjährigen 100-jährigen Jubiläum des Turniers durfte ich ebenfalls einen Scherenschnitt anfertigen, welcher sogar die Titelseite des Magazins geworden ist!
Firmen haben den Scherenschnitt für Werbung entdeckt und verwenden die Motive für Kundengeschenke und Give-Aways. Daher vielleicht das Gefühl von Revival! Mit der Zunahme dieser Verwendungszwecke haben aber leider auch die Urheberrechtsverletzungen stark zugenommen, gegen welche ich mich mit aller Kraft wehre.
Nicht von ungefähr heisst mein Lebensmotto:
Wir werden alle als Originale geboren, die meisten sterben als Kopien!
Huh, ein prägnantes Schlusswort!
Weitere Informationen über Beatrice Straubhaar und ihre Scherenschnittkunst findet man auf ihrer Homepage scherischnitt.ch
Die Ausstellung im Landesmuseum in Zürich findet vom 9.1.2015 bis 19.04.2015 statt.
3 Kommentare
Wirklich spannend, wie dieses alte Handwerk trotz der digitalen Revolution «überlebt» hat. Mindestens weiss ich nicht von einer App, welche diese wunderschönen Kunstwerke je ersetzen könnte. Aber wer weiss, ob eines Tages ein 3D-Drucker Scherenschnitte ausspucken wird…
Ja, tatsächlich recht erstaunlich. Und ja, ich gehe davon aus, dass es für einen 3D-Drucker kein Problem darstellen sollte, ähnliche Muster zu erstellen. Vielleicht wird’s ja dann richtig interessant, wenn sich Scherenschnittprofis mit 3D-Druckern befassen: Dann könnten dank der neuen Technik allenfalls auch neue Formensprachen entstehen. In der Ausstellung im Landesmuseum hat es bereits Exemplare mit 3D-Anschein…
Hallo Dimitri
per 3D-Drucker ausspucken ist das eine….. die Daten aber eingeben ist das andere und das bleibt hoffentlich noch sehr lange ein wunderschönes altes Kunsthandwerk welches uns fasziniert und wir nur ungern an einen Computer abgeben würden :-)
Laserschnitte gibt es bereits, aber auch da ist die Vorarbeit glücklicherweise zum grössten Teil noch wahres Kunsthandwerk.