Bei einer Reise durch die Toscana darf die Besichtigung einer Weinkellerei nicht fehlen. Davon gibt es in der Heimat des Chianti Classico unzählige. Aber das Weingut der Familie Antinori sticht besonders hervor:
40 Autominuten südlich von Florenz steht mit der Nuova Cantina Antinori ein architektonisches Denkmal des Weins.
Weinimperium der Marchesi Antinori
Bereits 1385 nahm die Geschichte des Weines aus dem Hause Antinori ihren Anfang. Seitdem bildet der Ort San Casciano Val di Pesa das räumliche Zentrum der Marchesi Antinori Kellereien.
Eine Reise wert ist seit 2012 allerdings auch die neue Cantina Antinori bei Bargino, 10 Autominuten weiter südlich. Der Weinkeller wurde hier grosszügig in die toskanische Landschaft eingelassen.
Architektur der neuen Cantina Antinori
Das Florentiner Architekturbüro Archea von Marco Casamonti hat für die Marchesi Antinori in Bargino San Casciano einen auffällig unauffälligen Weinkeller realisiert.
Unauffällig deshalb, weil der Grossteil des Kellers unsichtbar im Weinberg eingelassen ist.
Auffällig deshalb, weil das auskragende Dach des Verwaltungsgebäudes weitherum sichtbar ist.
Von der Schnellstrasse Florenz-Siena her führt eine auch für Sattelschlepper befahrbare Rampe am Weinberg entlang in die Tiefgarage des Gebäudekomplexes.
Die in erdfarbenem Beton umgesetzte, geschwungene Auffahrt zieht sich auf einer Länge von 870 Metern durch die weitläufige Anlage.
Bereits gilt die Bottega als neue touristische Attraktion der Toskana. Wir sehen jedenfalls mehrere Besuchergruppen und die geführten Touren sind heute alle ausverkauft.
Form und Farbgestaltung der Auffahrt sowie der Weinkellerei bilden mit den umliegenden Rebbergen eine einträchtige Symbiose.
Die Farbe der stählernen, rostbraun oxidierten Gebäudehülle bezieht sich auf die toskanische Erde.
Unter der grosszügig ausschwingenden Bedachung befinden sich in einem langgezogenen Glasquader die mehrstöckigen Verwaltungsräume und Besucherzonen mit Büros, Museum, Shop und Auditorium.
Durch grosse, kreisförmige Öffnungen im Dach fällt Tageslicht in das Gebäude. Das Schattenspiel bietet laufend ändernde Eindrücke.
Ikonische Wendeltreppe
Als wäre das markante Gebäude nicht schon Wahrzeichen genug, verfügt es auch noch über eine gewaltige Wendeltreppe aus Cortenstahl: Die elegante, rostbraune Treppe schwingt sich vom unterirdischen Parkhaus bis auf die Aussichtsterrasse um die Deckenstütze herum.
Die Wendeltreppe überwindet dabei einen Höhenunterschied von sage und schreibe 16,80 Metern und wird dazwischen an nur drei Stellen abgestützt.
Um die Konstruktion zu ermöglichen, wurde die unregelmässig geschwungene Treppe in 35 Segmenten angeliefert. Die 105 Tonnen Stahlblech wurden dann vor Ort für das Treppengefüge zusammengeschweisst.
Wissenswertes zum Bau
Das grossteils unterirdische Gebäude bietet eine Fläche von fast 40.000 Quadratmetern. Auch die Wegführung der Anlieferung und Tiefgarage ist zum grossen Teil unterirdisch.
Die Erdbewegungen und der Umgang mit dem Bodenmaterial erwiesen sich als einer der problematischsten Aspekte beim Bau der Kellerei: Dem Hügel mussten 380’000 Kubikmeter Erdboden entnommen werden, was 35’000 LKW-Ladungen entspricht.
Würden die Kippfahrzeuge alle hintereinander einkolonnieren, wäre die Blechlawine 420 Km lang, also von Zürich bis Lugano und zurück…
Es mussten sowohl Endlager gefunden werden als auch Zwischenlager für die Erde, die zur Aufschüttung nach Bauende bestimmt war.
Zudem musste die 15 Meter tiefe und fast 500 Meter lange Baugrube von gewaltigen Stützwerken befestigt werden. Dafür wurde eine über 20 Meter hohe und bis zu 120 cm dicke Spundwand erstellt.
Eine besondere Herausforderung stellte das 21 Meter auskragende Dach dar, weil es Boden und Weinreben trägt.
Das Tragwerk besteht hier aus 2,1 Meter (!) hohen Doppel-T-Stahlträgern, deren Höhe zur Aussenkante der Auskragung hin abnimmt.
Die Höhe der Aussenseite ist variabel. Das Dach hat daher keine flache Form, sondern empfindet die Geländeneigung nach.
- Bauherr: Marchesi Antinori S.r.l.
- Standort: Bargino, San Casciano Val di Pesa
Florenz, Italien - Planungsbeginn: 2004
- Baubeginn: 2007
- Fertigstellung: Oktober 2012
- Baukosten: 67 Mio Euro
- Brutto-Rauminhalt: 287’260 m²
- Grundstücksfläche: 12.83 ha
- Gesamtgrundfläche: 39’700 m²
- Produktionsmenge in Flaschen pro Jahr: 3’000’000
Das sind 3x mehr als Sélection Schwander in der Schweiz pro Jahr verkauft. Und Antinori hat ja noch ein paar weitere Weingüter… - Am Bau beteiligte Arbeiter: 5’315
- Arbeitstage: 2’100 oder 7 Jahre
Zur Webseite des Architekturbüros.
Moderne Weinherstellung
Weil die verschiedenen Stationen der Weinherstellung auf zwei Stockwerke verteilt sind, fällt dem Besucher nicht auf, dass die Architekten die Räume bis zu 26 Meter tief in den Weinberg versenkten.
Von der Anlieferung der Trauben über die Gärung und Reifung der Weine bis hin zu deren Abfüllung und Lagerung werden alle Prozesse von der Schwerkraft unterstützt. Und das erst noch bei konstant kühler Temperatur des Erdreichs zwischen 13 und 15 Grad Celsius.
So befindet sich der Gärkeller praktischerweise unterhalb des Bottichkellers und dem Gewölbe der Barriquekeller.
Deren Decke ist ausgekleidet mit rötlichbraunen Terrakotta-Ziegeln, die den monumentalen «spazio sacrale» bilden für die hölzernen Weinfässer.
Glasquader ragen hier aus dem Deckengewölbe in den Raum hinein und bieten freie Sicht auf die akkurat gestapelten Fässer: Schöner kann man Wein nicht degustieren!
Im Keller des Weinbergs in Bargino entstehen der Villa Antinori, der Chianti Classico Pèppoli, der Chianti Classico Riserva Marchesi Antinori und der Vin Santo del Chianti Classico.
An den Vin-Santo Keller und die obligate Ölpresse reiht sich das Restaurant Rinuccio 1180 an. Hier enden die Führungen mit einer Degustation der verschiedenen Antinori-Weine.
Das Restaurant ist benannt nach Rinuccio degli Antinori, dem Vorahnen der Familie.
Auch hier ist eine Reservation unerlässlich: Bei unserem Besuch sind alle Plätze ausgebucht.
Für Tischreservationen:
Email: rinuccio@antinorichianticlassico.it
Tel: +39 055 2359720
Restaurant-Konzept: Die Cantinetta Antinori
Da ich bei der Recherche über die neue Bottega auf ein paar interessante Artikel gestossen bin, hier weitere Hintergrundinformationen über die toskanische Weinkultur.
In 26. Generation wird die Florentiner Weindynastie erstmals von einer Frau geführt, von CEO Albiera Antinori.
Die älteste von drei Töchtern betreut das Marketing und die gastronomischen Initiativen des Weinhauses.
Neben dem Restaurant Rinuccio 1180 ist dies auch das Konzept «La Cantinetta Antinori».
Das sind fünf Osterien in Florenz, Zürich, Wien, Moskau und Monte Carlo, die einfache italienische Spezialitäten mit dem mittleren Preisbereich der Antinori-Weine zusammenbringen.
Zum Mittelsegment gehört z.B. der Pèppoli 2010. Mit seinem leicht säurebetonten Stil steht er für die fruchtige Version des Chianti Classico.
Es handelt sich um eine Cuvée aus 90% Sangiovese und je 5% Merlot und Syrah. Die Frische und Frucht passen perfekt zu einfachen italienischen Gerichten und mit 16 Euro stimmt auch das Preis-/Leistungsverhältnis.
Das Osteria-Konzept ist entsprechend bodenständig und attraktiv für jene, die zwischendurch erschwingliche toskanische Regionalität auf dem Teller und im Glas haben wollen.
Die Antinori und ihre Weine
Das rund 600 Jahre alte Weinhandelshaus zählt zu den weltweit renommiertesten der Toskana, wenn nicht sogar Italiens.
Der Begründer des heutigen Weinimperiums war Giovanni di Piero Antinori im Jahre 1385. Er stammte aus einer Florentiner Händlerfamilie mit langer Weinbautradition.
Der Hauptsitz ist ein im Jahre 1469 erbauter Renaissance-Palazzo in Florenz, der Palazzo Antinori.
Der neulich als CEO zurückgetretene Marchese Piero Antinori (*1938) ist die Leitfigur der önologischen Revolution im Zusammenhang mit den sogenannten Super-Toskanern: Zur Qualitätssteigerung der italienischen Weine entwickelte er neue Cuvées, also Verschnitte aus verschiedenen Traubensorten.
Neben vielen anderen Innovationen experimentierte er unter anderem als einer der ersten mit dem Barrique-Ausbau.
Seit seiner Übernahme des Weinguts 1966 hat er massiv zum Imagewandel toskanischer Weine beigetragen.
Er holte die besten Önologen und französische Reben auf seine Güter, rekultivierte brachliegende Weinberge, initiierte neue Kellerverfahren und instrumentalisierte sein ausgefeiltes Marketing-Talent.
So entstaubte er die bis in die 1970er Jahre typische bauchige, mit Bast umwickelte Chianti-Flasche «Fiasco» durch die Vermarktung der ersten Super-Toskaner.
Gegen das geltende italienische Weingesetz griff er für die Entwicklung seines Rotweins Tignanello auf Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah zurück und baute ihn – ebenfalls gegen die herrschende Tradition – in französischer Eiche aus.
Mit Projekten wie der State-of-the-art-Kellerei «Nuova Cantina Antinori» oder dem Osteria-Konzept setzen seine Töchter den Pioniergeist des toskanischen Winzerpioniers fort.
Neben Albiera, der ältesten Tochter von Marchese Piero Antinori, leitet Allegra Antinori das Bio-Weingut Fiorano bei Rom, die jüngste Schwester Alessia führt das familieneigene Schaumwein-Haus Franciacorta.
Heute geht das Familienunternehmen Antinori auch Joint Ventures ein, u.a. mit dem Weingut „Haras de Pirque“ im Maipo Valley in Chile. Dessen Top-Wein «Albis» ist nach dem Spitznamen von Albiera Antinori benannt.
So gehören zu den 1700 ha Reben allein in Italien, davon 1500 ha in der Toskana, auch Terroirs in Kalifornien und Chile zu den Antinori Weingütern.
Das Unternehmen Antinori ist Mitglied der renommierten internationalen Familienweingüter-Vereinigung PFV (Primum Familiae Vini).
Die Familie verfügt heute über einen gigantischen Pool an renommierten Weingütern. Das Zentrum liegt in der Tenuta Tignanello in Mercatale und umfasst insgesamt 147 Hektar.
Die beiden berühmtesten Lagen heissen Tignanello und Solaia.
Die 57 Hektar Tignanello liegen unmittelbar hinter dem Kellergebäude in offener Südost-Lage; die 20 Hektar der Lage Solaia schliessen daran an. In diesen Lagen entstehen zwei Weine, die Weinbaugeschichte geschrieben haben.
Der Tignanello entstand 1970 als Cuvée aus 80% Sangiovese sowie 15% Cabernet Sauvignon und 5% Cabernet Franc. Das war die Geburtsstunde der «Super Tuscans».
Acht Jahre später entstand als Cuvée aus 80% Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc sowie 20% Sangiovese der Solaia.
Damals ein Novum, heute ein gefeierter Kultwein. In Tignanello werden ausserdem noch der Chianti Classico Riserva Tenute Marchese Antinori und etwas Vin Santo erzeugt.
Viele dieser Informationen finden sich in der schönen Antinori-Reportage der Schweizer Weinzeitung.
Ein herzhaftes Prost auf die Antinoris!
Wer in der Nähe eine stilvolle und eindrückliche Bleibe sucht, dem empfehlen wir das Castelfalfi Toscana Resort. Hier geht’s zu Katja’s Bericht über das romantische Resort.
Weitere Ausflugstipps für die Toskana findest du in diesem Artikel.